BLUE DAHLIA_
Archival pigment print on paper
90 x 70 cm
2022
„Good wife, wise mother“ – so wurde die perfekte Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft zur Mitte des letzten Jahrhunderts gemeinhin verstanden. Heute steht dieser stereotypen Vorstellung der behütenden Mutter und sich kümmernden, ganz dem Ehemann unterordnenden und im Familienleben aufgehenden Ehefrau die selbstbewusste und unabhängige Frau der Gegenwart gegenüber. In ihrer Serie „BLUE DAHLIA_“ hat Antonia Gruber mit Künstlicher Intelligenz (KI) ihr eigenes biometrisches Passbild mit Porträtfotografien von Frauen aus den 1950er- und 1960er-Jahren verschmolzen. Als Konglomerat zwischen Selbstbildnis und Fremd- identität verschließen sich diese Arbeiten der Wesenhaftigkeit eines Porträts (von lat. pro-trahere = hervorziehen) mit seinem Anspruch, die Identität der dargestellten Person einzufangen und sichtbar zu machen. Betont wird stattdessen die Oberflächlichkeit einer „überirdischen“ Schönheit, wie sie aus der Modefotografie bekannt ist. Indem die Künstlerin aber bewusst (und entgegen der gängigen Praxis der Schönheitsindustrie) die während der digitalen Bildmanipulation entstandenen Störungen (Glitches) beibe- halten hat, wird die Künstlichkeit und die Maskenhaftigkeit der so entstandenen Frauenbilder betont. Das digitale morphing des Quellenfotos erzeugt zudem einen „uncanny valley“-Effekt, d.h. die künstlich erzeugten Frauenbilder weisen einen derart hohen Grad an Realismus auf, dass sich beim Betrachten ein Unbehagen einstellt. Der Titel der Serie, BLUE DAHLIA_, lässt an den ungelösten Mord an der 22-jährigen Hollywood-Schauspielerin Elizabeth Short im Jahr 1947, bekannt als „Black Dahlia Murder“, denken. Ein Mordfall, der für die Objektifizierung und Gewalt gegen Frauen steht. Er weckt aber auch Assoziationen zum Motiv der blauen Blume in der deutschen Romantik, prominent bei Novalis und Eichendorff, als Symbol für Sehnsucht und das Streben nach der unerreichbaren Schönheit – mehr noch: für einen idealen, transzendenten Zustand. In der Botanik steht die Dahlie für Wachstum und Stärke. Die Serie stellt damit die Brutalität der Unterdrückung dem beständigen Streben nach Emanzipation gegenüber. So wird in Antonia Grubers „BLUE DAHLIA_“ Serie die Sehnsucht nach der blauen Blume zu einer Metapher für das Streben nach Emanzipation.
- Jürgen Dehm
Künstlerischer Leiter, Kebbel-Villa